Symbolbild Kalender mit vielfach verschobenen Terminen

Geschrieben von Sören Lehmann

Sören ist studierter Betriebswirtschaftler, Journalist und leidenschaftlicher Triathlet. Von den Einschränkungen durch die Paruresis hatte er irgendwann genug. Jetzt arbeitet er daran, sie zu überwinden.

Paruresis und Prokrastination: Zwei Kumpels, die Dir nicht gut tun

Jeder Paruretiker kennt das Problem: Wir schieben Paruresis und die Probleme, die sie im Alltag mit sich bringt, gerne weg. Aber wieso ist das eigentlich so? Ein paar Gedanken dazu.

Warum wir Paruresis oft vor uns her schieben

Erst vor kurzem hatte ich genau darüber mit Johannes gesprochen. Oft ist es ja so, dass man in bestimmten Lebensphasen unterschiedlichen sozialen Tätigkeiten nachgeht. Klar, im Studium und in der Schule wirst Du Dich wohl öfters mit Paruresis konfrontiert sehen. Auch gerade in den Jahren Deiner Volljährigkeit herum, wenn Du viele Partys mitnimmst, spielt Paruresis wahrscheinlich eine übergeordnete Rolle. Beinahe täglich nervt Dich das Problem, nicht oder schlecht auf öffentlichen Toiletten pinkeln zu können.

Aber was machst Du, wenn Dich Dein Unterbewusstsein austrickst und Dir suggeriert, dass eigentlich alles nicht so schlimm ist? Das ist nämlich meist dann der Fall, wenn Du aus beruflichen oder anderen privaten Gründen viel zu Hause bist. Womöglich bist Du selbstständig? Oder andere berufliche bzw. persönliche Dinge beschäftigen dich sehr stark? Dann hast Du gefühlt nicht die Kraft, Dich auch noch mit Paruresis auseinanderzusetzen. Du schiebst Das Problem mal wieder vor Dir her. Teilweise gar nicht gewollt. Eher unbewusst, weil es sich in manchen Phasen tatsächlich nicht so schlimm anfühlt. Doch das ist ein Trugschluss!

Sobald Du wegen X-Gründen wieder öfters unterwegs bist, und dann natürlich auch irgendwann mal die Toilette benutzen musst, wird’s wieder kritisch. Oder dann, wenn Du neue Leute bzw. Arbeitskollegen kennenlernst und Du nicht weißt, ob Du es ihnen einfach gleich sagen solltest oder es (mal wieder) bleiben lässt.

Ich war nachlässig

Warum erzähle ich Dir das? Weil ich in den letzten Wochen auch mal wieder nachlässig war. Seit unserem ersten Übungstreffen, habe ich Paruresis ausgeblendet. Gut, es standen einige persönliche Highlights an. Da habe ich nicht groß über Paruresis nachgedacht. Hätte ich es mal lieber weiterverfolgt. Denn mein Problem löst sich nun mal nicht von selbst einfach so auf. Es ist kein Selbstläufer…

Kurzum: Prokrastination kennen nicht nur Studenten. Auch Paruretikern ist es wohlbekannt. Öfters unbewusst, schieben wir unser Problem vor uns her. Deshalb sollten wir uns gerade in Lebensphasen, wo Paruresis weniger schlimm erscheint, genau hinterfragen, ob wir wirklich schon gelernt haben, entspannter damit umzugehen oder ob wir es schlicht ausblenden. Eben weil es uns gerade gutgeht und wir keine Lust haben, uns mit dem „Pinkelproblemchen“ schlechte Gedanken zu machen.

Ein Teufelskreislauf, dem Du enkommen kannst

Aber genau das ist der Sog des Teufelskreislaufes! Immer wieder sollten wir uns hinterfragen, wie sehr uns Paruresis belastet. Wie sehr es uns im Alltag und in unseren sozialen Tätigkeiten einschränkt. Vor allem in Phasen, wo eigentlich alles rundläuft.

Dafür eignet sich z. B. das sogenannte Expressive Schreiben, das unter anderem Teil des WeMingo Selbsthilfeprogramms ist. Es ist wichtig, seine Gedanken und Ängste festzuhalten. Sonst schwirren sie ungebändigt im Kopf herum, und machen einen fast schon krank.

Wie Du dir bei Paruresis Zwischenziele setzt

Zu Beginn habe ich schon auf verschiedene Ursachen für das Aufschieben hingewiesen. Vielleicht bist Du gerade in einer komfortablen Lebensphase, arbeitest z. B. von zu Hause aus, und siehst Dich dem Problem dadurch weniger konfrontiert. Es kann aber auch daran liegen, dass Du Dir dein Ziel, Paruresis zu überwinden, zu diffus vorstellst. Zur Konkretisierung deines Ziels hilft uns eine Formel aus dem BWL-Bereich. Die SMART-Formel!

Mach es konkret!

Zunächst einmal: Es ist ganz natürlich, dass Du bzw. Dein Unterbewusstsein immer wieder nach Möglichkeiten suchen wird, um die Konfrontation mit öffentlichen Toiletten zu vermeiden. In der spezifischen Situation hast Du einfach keine Lust auf negative Gedanken – Du prokrastinierst.

Um diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen, kannst Du Dir eine Agenda von verschiedenen Zielen setzen. Klar, ganz oben steht das Ziel, Paruresis zu überwinden. Doch das ist kein konkretes, spezifisches Ziel. Es ist diffus. Woran machst Du denn fest, dass Du dieses Ziel erreicht hast? Und wann soll das eigentlich stattfinden? Ist es überhaupt realistisch? Fragen, die im Alltag oft wieder verschwimmen…

Vor Kurzem habe ich ein sehr schönes Zitat gelesen, es geht so:

„Handeln ist wie wollen, nur krasser!“

Gut, wir sind uns einig, dass Paruresis nicht ewig unseren Alltag bestimmen soll. Das gedankliche Fundament steht soweit. Doch dies mit entsprechenden Taten, z. B. Konfrontationsübungen zu untermauern, fällt uns oft schwer. Einfach weil das große Ganze zu schwammig formuliert ist. Hierfür kannst Du Dich jedoch an den sogenannten SMARTen-Kriterien orientieren. Ein Ziel ist SMART, wenn es

  •     spezifisch (so präzise wie möglich)
  •     messbar
  •     ansprechend (wichtig und erstrebenswert)
  •     realistisch
  •     terminiert (auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt)

ist. Adaptieren wir das auf unser Paruresisproblem. In meinem Fall beziehen wir es auf eine große öffentliche Bahnhofstoilette, wo ich alle paar Wochen vorbeikomme.  Ich muss dazu sagen, dass die Umgebungsgeräusche relativ laut sind und es Trennwände gibt. Das erleichtert mir das Ganze ungemein!

Wie ich mir mein Zwischenziel konktret ausmale

Also anstatt zu sagen „ich möchte es schaffen, auf öffentlichen Toiletten hin und wieder pinkeln können“, sage ich mir: „Ich möchte es schaffen, auf dieser Toilette, wann immer ich dort bin, unabhängig von der Frequentierung, zu pinkeln.“

Das ist ein spezifisches Zwischenziel. Die Situation ist konkret und kann so meinen „Erfolg“ messen. Ein drittes Kriterium der SMART-Formel ist Relevanz – wie ansprechend oder wichtig empfindest Du es. In meinem Fall sieht es so aus, dass ich noch bis letztes Jahr Angst vor der Toilette hatte. Wenn ich am Bahnhof ankam, wusste ich schon, dass, wenn ich es probieren sollte, es bestimmt nicht klappen würde. Also suchte ich oft direkt den Weg zur Kabine.

Doch seit einigen Monaten habe ich mich da bereits ein bisschen umgepolt. Ich sehe dem positiv entgegen, ja fast schon freue ich mich darauf, wieder die Chance zu bekommen, es ein weiteres Mal üben zu können. Und mit der Zeit hat es einige Male geklappt. Diese kleinen Erfolge speichern sich natürlich auch ein! Mein SMARTES-Ziel, dort also immer und zu jeder Zeit pinkeln zu könnnen, ist realistisch. Ich habe bereits Fortschritte gemacht und bin guter Dinge, dass ich bald weitere Schwierigkeitsgrade erklimmen kann. Etwa mich 1-2 Urinale neben einer Person hinzustellen.

Als letztes Kriterium wäre noch das Zeitliche. Hierbei darf ich eigentlich auch nicht sagen, dass ich es „irgendwann“ schaffen will, sondern muss mir ein konkretes Datum überlegen. Wobei eins zu beachten ist: Es darf nicht in Druck ausarten, Dein Ziel nun unbedingt erreichen zu müssen. Besser ist ein Zeitraum in den nächsten Wochen bzw. Monaten, wann Du soweit sein willst. Hauptsache Du definierst Dir ein zeitliches Ziel.

Das SMARTE Ziel schreibst Du Dir im besten Fall auf, sodass Du stets daran erinnert wirst.

Auch kurzfristige Ziele sind wichtig

Dieses Beispiel für SMARTe-Ziele ist eher langfristiger Natur. Wichtig ist es ebenfalls, dass Du Dir kleine, kurzfristige Ziele setzt. Beispielsweise könnte das sein:

Ein abschließender Gedanke

Klar, möchten wir bestenfalls Paruresis komplett überwinden und noch lieber vergessen. Doch vielleicht ist es besser nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ zu denken. Du liest jetzt gerade diesen Blogbeitrag, Du arbeitest vielleicht mit dem WeMingo Selbsthilfeprogramm, triffst Dich mit anderen Paruretikern, um darüber zu reden und zusammen zu üben – all das ist (D)ein Veränderungsprozess und essentiell, um das übergeordnete Ziel zu erreichen. Denken wir step by step. Oder „von Spiel zu Spiel“, wie Fußballer sagen würden.

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