Partyszene - Ausgehen geht meist mit dem Besuch einer öffentlichen Toilette einher

Geschrieben von Sören Lehmann

Sören ist studierter Betriebswirtschaftler, Journalist und leidenschaftlicher Triathlet. Von den Einschränkungen durch die Paruresis hatte er irgendwann genug. Jetzt arbeitet er daran, sie zu überwinden.

Im Dialog mit Deinem inneren Troll

Sonntagmorgen. 4:30Uhr. Mein Kumpel und ich steigen aus dem Taxi aus. Wir sind gut drauf. Hinter uns liegen einige Stunden Party. Mal wieder alte Bekannte treffen, tanzen, trinken – einfach eine gute Zeit haben. 4:40Uhr. Wir verabschieden uns. Mit einem äußerst guten Gefühl schlafe ich ziemlich schnell ein. Was war passiert?

Der Troll suggeriert Dir Worst-Case-Szenarien

Einige Tage vorher kündigte sich ein sehr guter Freund an. Mittlerweile lebt er in einer anderen Stadt. Man sieht sich nicht mehr so oft. Er sei am Wochenende mal wieder in der Stadt und fragte, ob ich Zeit hätte. Zufälligerweise war genau an diesem Wochenende die große Neueröffnung der einzigen Partylocation in unserer Stadt. „Theoretisch hättest Du mal wieder Bock auf ne Sause“ rief eine leise Stimme in mir. Ich schlug es ihm vor und er war sofort dabei. Wie in alten Zeiten mal wieder einen draufmachen. Trotz der Lust, mal wieder Party zu machen – Du weißt was jetzt für ein „Aber“ kommt – drängte sich der innere Troll sofort wieder auf: „Sören, was machst Du , wenn Du pinkeln musst? Dein Kumpel wird irgendwann einfach gehen! Wie verhältst Du Dich? Du wirst nicht können.“ – und solch ein Bla Bla eben. Wir kennen diese inneren Dialoge mit dem Paruresis-Troll. Doch ich wollte ihm gar nicht erst viel Spielraum geben. Immerhin schlug ich das mit der Party selbst vor!

Samstag, so gegen Mittag rum, war ich etwas schlapp und müde. Ich fühlte mich nicht so gut. Innerlich baute sich schon so ein latentes Unbehagen auf. „Oder sagst Du ihm doch noch ab?, sagst es gehe Dir heute nicht so doll. Schlägst was Alternatives vor, wo man nicht auf Öffentliche Toiletten gehen muss?.“ Ich sage Dir ganz ehrlich: Ich war kurz davor, das Ding abzusagen. Aber diesmal schaffte es der Troll nicht! Ich raffte mich nach dem Mittagsschlaf auf, machte mir einen Kaffee und hörte auf dem Bett ein bisschen Musik. Ich dachte nach. Nach ein paar Minuten war klar: Du ziehst das heute durch! Das ist alles gar nicht so schlimm. Die Mantra, wie man eine Angst bekämpft, kamen in mir hoch…

„Denk nich in Wortcase Szenarien“

„Akzeptier Deine Angst & steh dazu“

„Konfrontiere Dich mit ihr“

Endlich erzähle ich es einem engen Freund

Zeitraffer. Inzwischen sind wir bei mir ein bisschen „vorglühen“. Natürlich nicht so krass wie früher. Ein paar Bier und die Sache geht klar! Irgendwann fasse ich mir ein Herz und erzähle es ihm.Du ich wollte Dir da noch etwas sagen, was ich eigentlich schon sehr lange machen wollte, aber mich nie getraut habe“. Trotz des ein oder anderen Bieres sind wir bei klarem Verstand. Zu meinem Erstaunen reagiert er vollkommen gelassen, fragt wirklich interessiert nach, was es damit auf sich habe, wie es zustande gekommen ist, wie es sich im Alltag äußert etc. Ich erkläre ihm alles. Und auch wenn er es nicht hat, kann er es irgendwie auch nachvollziehen. Er habe es auch schon in Ansätzen erlebt. Das war für mich krass zu hören.

Noch ein Zeitraffer. Jetzt ist es schon etwas später. Wir stehen draußen vorm Club mit zwei, drei anderen Kumpels von früher. Sie müssen pinkeln und ich schlage vor, dass wir kurz um die Ecke gehen, ich hätte ihnen eh noch etwas zu erzählen. Und auch den anderen beiden erzähle ich von meiner Paruresis. Auch sie reagieren cool, sind natürlich erstaunt, aber verständnisvoll. Wir redeten noch ein paar Minuten reflektiert über die Sache.

Alle drei, denen ich an dem Abend von meiner Paruresis erzählte habe, fanden es cool, dass ich es ihnen gesagt habe.

Und das Fazit von der Geschicht?

Im Vorhinein hat der innere Paruresis Troll mal wieder mit aller Macht probiert, mein Sozialleben einzuschneiden. Doch ich reflektierte die Situation und entschied mich entschlossen diesmal „nicht zu passen“. Die Leute, denen ich es erzählt habe, reagierten sehr verständnisvoll und positiv. Das wiederum löste in mir ein zwar ungewohntes, dafür unheimlich zufriedenstellendes Gefühl aus. Endlich teile ich „mein kleines Problem“ mit anderen. Endlich habe ich die Kraft, mit anderen darüber zu reden. Und endlich merke ich, dass genau das so gut tun kann und wichtig ist, um Paruresis peu a peu abzulegen.

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