Treppenstufen als Symbol für den schrittweisen Weg zur Überwindung der Paruresis

Wie kann ich die Paruresis überwinden?

WeMingo-Gründer Johannes

Ich bin Johannes und kenne Paruresis aus eigener Erfahrung. Ich betreibe das Forum auf paruresis.de und unterstütze andere Betroffene mit meinem Selbsthilfeprogramm.

Seit ich 13 Jahre alt bin, hatte ich Paruresis. Ab 2014 habe ich mich intensiv mit meiner Angst auseinandergesetzt, sodass es mir heute besser geht. In diesem Artikel möchte ich meine Erfahrungen und mein Wissen zusammenfassen und den Weg aus der Angst beschreiben.

Das Mittel der Wahl

Das Mittel der Wahl bei Paruresis ist eine kognitive Verhaltenstherapie ("KVT"). Die KVT wird bei vielen Angststörungen eingesetzt und hat auch bei Paruresis eine hohe Wirksamkeit gezeigt. In einer Studie von Prof. Hammelstein erfüllten 80% der Teilnehmer nach zwölf Sitzungen nicht mehr die Kriterien einer klinisch bedeutsamen Paruresis.

Eine KVT ist bei Paruresis typischerweise in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt geht es um das Hinterfragen der eigenen Ängste, im zweiten Abschnitt steht dann die Konfrontation mit den Toiletten im Vordergrund.

Klassischerweise wird eine KVT von einem Psychotherapeuten angeleitet. Es ist aber auch möglich, eigenständig Konzepte aus der KVT zu erarbeiten. Dazu später noch mehr.

Ob Hilfen zur Selbsthilfe für dich infrage kommen, hängt von deiner Verfassung und der Schwere deiner Paruresis ab. Wenn du stark unter den Einschränkungen leidest oder du dich mit Blick auf das Problem kraftlos fühlst, empfehle ich dir die Zusammenarbeit mit einem Therapeuten. Wenn du das Gefühl hast, dringend Hilfe zu benötigen, wende dich bitte an die Telefonseelsorge (telefonseelsorge.de bzw. 0800/111 0 111).

Hinterfragen negativer Gedanken

Die grundsätzliche Idee bei der kognitiven Verhaltenstherapie ist, dass Gefühle und Verhalten durch Gedanken bestimmt werden.

Im Falle von Paruresis bedeutet dies, dass die Anspannung und Angst auf öffentlichen Toiletten durch übertrieben negative Gedanken aufrechterhalten werden. Das erste Zwischenziel ist daher, diese negativen Gedanken zu identifizieren und zu ersetzen.

Wir können diesen Prozess einmal an einem typischen negativen Gedanken nachvollziehen.

Nehmen wir an, dir kommt beim Aufsuchen einer öffentlichen Toilette folgender Gedanke:

„Wenn ich auf der Toilette bin und nicht pinkeln kann, werden die anderen im Raum das merken und mich dafür lächerlich machen.”

Wie fühlst du dich bei diesem Gedanken? Vielleicht eingeschüchtert und hilflos?

Wie würde dieser Gedanke dein Verhalten beeinflussen? Du würdest wahrscheinlich versuchen anderen aus dem Weg zu gehen und dich klein zu machen.

Im Rahmen einer KVT würdest du nun diesen Gedanken hinterfragen: Sind meine Annahmen realistisch? Wie würde ich eigentlich als einer der anderen auf der Toilette reagieren?

Du würdest vermutlich zu dem Schluss kommen, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich andere Menschen auf der Toilette für dich interessieren. Sie sind wahrscheinlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um darauf zu achten, wie lange du schon da bist oder ob bei dir etwas plätschert. Und selbst wenn es jemand wahrnehmen würde, würde diese Person keine Kommentare machen, sondern diese Beobachtung schnell wieder vergessen.

Sobald du dir solcher negativer Gedanken bewusst bist und sie erfolgreich durch realistischere Gedanken ersetzt hast, bist du bereit für den zweiten Schritt.

Schrittweises Herantasten an öffentliche Toiletten

Mit dem Wissen, dass deine Ängste überhöht waren, kannst du dich nun der Situation auf öffentlichen Toiletten stellen. Das Ziel: „Gefährliche Toiletten” aufsuchen und erfahren, dass deine ursprünglichen Befürchtungen nicht eintreten.

Dabei ist es wichtig, behutsam vorzugehen. Du hast bestimmte Toiletten lange Zeit gemieden oder nur unter großer Anspannung aufgesucht. Die Idee ist, zunächst relativ einfache Toilettenumgebungen anzusteuern, um dich nicht zu überfordern. Wenn du dort Erfolgserlebnisse hattest, kannst du schwierigere Toiletten auswählen. Auch dort geht es dann wieder darum, die Anspannung auszuhalten und zu bewältigen, bis du pinkeln kannst. Wenn du auch dieses „Level” gemeistert hast, kommt die nächste Stufe und immer so weiter.

Das richtige Ziel vor Augen

Was bedeutet es für dich "die Paruresis zu überwinden"?

Wenn ich mit anderen Betroffenen gesprochen habe, habe ich häufig folgende Antwort gehört:

„Wenn ich die Paruresis überwunden habe, kann ich immer und überall pinkeln.”

Ich möchte dich dazu ermutigen, ein anderes Ziel vor Augen zu haben.

Ich sehe es heute so: Du hast die Paruresis überwunden, wenn du wieder dein Leben leben kannst. Das heißt beispielsweise, dass du mit Freunden ausgehen kannst und darauf vertrauen kannst, dass es mit dem Pinkeln schon irgendwie klappen wird. Vielleicht nicht Schulter an Schulter am Pinkelbecken, aber auf einer ruhigeren Toilette in der Nähe oder in der Kabine statt am Urinal.

Dein Ziel muss nicht sein, sämtliche Hemmungen auf der Toilette zu verlieren. Das sind hohe Erwartungen, mit denen du dich nur unnötig unter Druck setzen würdest. Entscheidend ist allein, dass du wieder die Dinge machen kannst, die du machen möchtest.

Begleitung auf dem Weg aus der Angst

Für die kognitive Verhaltenstherapie solltest du dir einen Psychotherapeuten suchen, der mit diesem Verfahren arbeitet. Es gibt mehrere Portale, über die du Therapeuten in deiner Nähe finden kannst.

Wenn du zunächst alleine an deinem Problem arbeiten möchtest, kann dich mein Selbsthilfeprogramm WeMingo mit Elementen der KVT unterstützen. Es hilft dir beispielsweise, negative Gedanken in von dir erlebten Situationen zu identifizieren, und unterstützt dich beim Formulieren alternativer Gedanken.


Den Weg hier zu beschreiben, war relativ einfach. Natürlich ist es viel schwieriger, ihn selbst zu durchlaufen - vor allem, wenn man sich schon viele Jahre oder Jahrzehnte mit diesem Problem herumschlägt. Dann sind die alten Gedanken- und Verhaltensmuster so gefestigt, dass die Umstellung viel Geduld erfordert. Aber es lohnt sich und es ist nie zu spät! Mit jeder kleinen Verbesserung gewinnst du viel Lebensqualität zurück.

Selbsthilfe mit WeMingo

Mein Selbsthilfeprogramm bietet dir einen einfachen Einstieg in die Auseinandersetzung mit deiner Paruresis. Die Inhalte basieren auf Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie und wurden gemeinsam mit Experten der Freien Universität Berlin entwickelt.

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Johannes vor einer öffentlichen Toilette

Die Inhalte auf dieser Seite ersetzen nicht die persönliche Beratung, Untersuchung, Diagnose und Therapie durch einen Therapeuten oder Arzt.

Wenn du dringend Hilfe benötigst, wende dich bitte an die Telefonseelsorge: telefonseelsorge.de bzw. 0800/111 0 111.